Todesstoß für Roe v. Wade: US-Supreme-Court beendet Recht auf Abtreibung
Der Supreme Court der Vereinigten Staaten hat mit dem lang erwarteten Urteil zum Fall Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization das seit 49 Jahren in den gesamten USA bestehende Recht auf Abtreibung aufgehoben. Damit kippt der konservative Teil des Gerichts mit einer Abstimmung von 6 zu 3 den bisherigen Präzedenzfall Roe v. Wade. Mit sofortiger Wirkung verstoßen Abtreibungen in mehreren US-Bundesstaaten gegen das Gesetz. Die Demokrat:innen dürften das Urteil zu einem zentralen Thema ihres Wahlkampfs machen.
„Wir sind der Meinung, dass Roe und Casey aufgehoben werden müssen.“ Mit diesen Worten hat der US-Supreme-Court mit einer 6-zu-3-Mehrheit im Fall Dobbs v. Jackson Women’s Health Organisation für das Ende des seit 1973 US-weit bestehenden Rechts auf Abtreibung gestimmt. Die konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten hebt damit den Präzedenzfall Roe v. Wade auf und lässt die Bundesstaaten darüber entscheiden, ob sie Abtreibung zulassen oder verbieten.
In Roe v. Wade hatte der Supreme Court 1973 entschieden, dass der 14. Zusatzartikel der US-Verfassung ein fundamentales, aber nicht absolutes Recht auf Abtreibung begründet. Um die Interessen der Mutter und des Staates abzuwägen hatte das Urteil eine Trimester-Regelung eingeführt. Anhand dieser wurde entschieden, ab welchem Punkt der Schwangerschaft Abtreibungen eingeschränkt werden dürfen. 1992 hob die Entscheidung zu Planned Parenthood v. Casey die Trimester-Regelung auf und ersetzte sie durch eine Lebensfähigkeits-Analyse. Die grundlegende Entscheidung von Roe wurde allerdings nicht angetastet.
Im Urteil zum Fall Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization erklärt die Mehrheit des Supreme Court nun, „Roe war von Anfang an ungeheuerlich falsch“ und argumentiert, es sei „an der Zeit, die Verfassung zu beherzigen und die Frage der Abtreibung wieder den gewählten Volksvertretern zu überlassen“. Die Richter:innen orientieren sich damit stark an einem frühen Entwurf, der im Mai bereits an die Öffentlichkeit gelangt war.
Verbote, Schutz und viele Unbekannten
Das Urteil tritt jetzt in zahlreichen konservativ geführten Bundesstaaten ein Rennen los, Abtreibungen zu verbieten. Texas und Oklahoma hatten zuletzt weitreichende Abtreibungsverschärfungen eingeführt. Zusätzlich existieren dort sowie in elf weiteren Staaten Gesetze, die mit dem Ende von Roe v. Wade ein automatisches Abtreibungsverbot auslösen – sogenannte Trigger Laws.
In mehreren Staaten ist hingegen nicht unmittelbar klar, ob dort Abtreibungen erlaubt oder untersagt sind. Ein besonderer Fall ist in diesem Zusammenhang Michigan. Dort existiert noch ein Gesetz aus dem Jahr 1931, das Abtreibung untersagt, es sei denn, das Leben der Mutter ist in Gefahr. Der Supreme Court des Staates urteilte kürzlich, dass das Gesetz aktuell aufgrund von Roe v. Wade keine Anwendung findet und die zuständige Generalstaatsanwältin Dana Nessel hat bereits angekündigt, das Gesetz nicht durchsetzen zu wollen.
In Iowa wiederum erklärte der Oberste Gerichtshof des Staates, dass die Verfassung von Iowa kein fundamentales Recht auf Abtreibung gewährt. Die Entscheidung widerspricht einem früheren Urteil aus 2018, befasst sich aber nicht weiter mit der Frage, ob Abtreibungen in Iowa erlaubt sind oder nicht.
Neue Mehrheitsverhältnisse durch Trump
Mit der Bestätigung der konservativen Richterin Amy Coney Barrett als Nachfolgerin der verstorbenen liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg im Oktober 2020 hatten sich die Mehrheitsverhältnisse im Supreme Court maßgeblich verschoben. Der damalige US-Präsident Donald Trump hatte Coney Barrett nominiert und damit die konservative 5-4-Mehrheit zu einer 6-3-Mehrheit geändert. Bis dahin war der Oberste Richter John Roberts, der von George W. Bush nominiert wurde, oft die entscheidende Stimme und votierte nicht immer mit seinen konservativen Kolleg:innen. Bei Dobbs stimmte er für die republikanische Mehrheitsentscheidung, argumentierte allerdings, dass er persönlich einen bedachteren Ansatz gewählt hätte.
Abtreibung ist in den USA ein äußerst kontroverses Politikfeld. So hatten Organisationen wie Planned Parenthood schon im Vorfeld landesweite Demonstrationen angekündigt und geplant. Zahlreiche Demonstrat:innen hatten sich bereits vor der Urteilsverkündung vor dem Gebäude des Supreme Court in der Hauptstadt Washington, D.C. eingefunden. Es ist davon auszugehen, dass ihre Zahl im Laufe des Tages weiter zunehmen wird.
Die demokratischen Abgeordneten im Kongress hatten zuletzt noch versucht, das Recht auf Abtreibung in Bundesrecht zu überführen, um einer Gerichtsentscheidung wie sie heute gefällt wurde, zuvorzukommen. Die entscheidende Abstimmung im Senat scheiterte allerdings 49 zu 51. Der Demokrat Joe Manchin aus West Virginia stimmte ebenso wie die gesamte republikanische Fraktion gegen den Gesetzentwurf.
Auswirkungen auf die Zwischenwahlen 2022
Das Urteil dürfte auch maßgebliche Auswirkungen auf die Zwischenwahlen am 8. November 2022 haben. Eine im vergangenen Monat durchgeführte Umfrage zeigte zuletzt, dass 65 Prozent der Befragten dagegen waren, Roe v. Wade aufzuheben. Die Demokrat:innen werden das Urteil und den Schutz des Rechts auf Abtreibung voraussichtlich zu einem zentralen Wahlkampfthema machen.
Nachdem der Urteilsentwurf im Mai an die Öffentlichkeit gelangt war, hatte etwa der demokratische Senatskandidat John Fetterman aus Pennsylvania das Recht auf Abtreibung als nicht verhandelbar erklärt und damit geworben, nach einem Wahlsieg im November die 51. Stimme im Senat für eine Kodifizierung von Roe v. Wade zu sein. Aufgrund des legislativen Filibusters, der 60 Stimmen im Senat voraussetzt, um eine Debatte zu beenden, würde aber selbst das nicht reichen, solange diese Regelung beibehalten würde.
In einem Statement zum Dobbs-Urteil sagte die demokratische Mehrheitsführerin im US-Repräsentantenhaus Nancy Pelosi wiederholt, „reproduktive Rechte sind im November auf dem Stimmzettel.“ Für die Demokrat:innen wird viel davon abhängen, ob sie die Wähler:innen davon überzeugen können, der Verteidigung des Rechts auf Abtreibung eine größere Wichtigkeit zuzuschreiben als beispielsweise der steigenden Inflation.
Republikanische Politiker:innen hingegen äußerten in den sozialen Medien bisher größtenteils Zuspruch für das Urteil. „Jedes ungeborene Kind ist kostbar, außergewöhnlich und schützenswert. Ich begrüße diese historische Entscheidung, die unzählige unschuldige Leben retten wird“, erklärt der republikanische Minderheitsführer im US-Repräsentantenhaus Kevin McCarthy.
Quellen: Axios, Dobbs-Urteil, Politico
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